In meinem letzten Dienst habe ich zum ersten Mal einen i.o. Zugang (intraossärer Zugang) bei einer Patientin etabliert. In diesem Beitrag möchte ich einen kurzen Überblick über die Grundlagen dieses Zugangs über das Knochenmark geben. Ich stelle das EZ-IO System vor, das mein Rettungsdienstbereich auf den RTW, NEF und RTH verlastet und zeige, wo man überall einen i.o. Zugang etablieren kann.
Warum funktioniert das eigentlich?
Um zu verstehen, warum man Medikamente „in einen Knochen“ spritzen kann und das die gleiche Wirkung entfaltet wie die Applikation der Medikamente über einen peripheren i.v. Zugang, ist es wichtig zu wissen was Knochenmark eigentlich ist und wo es vorkommt.
Knochenmark (Medulla ossium) ist ein Binde- bzw. Stammzellengewebe. Man unterscheidet es in gelbes und rotes Knochenmark, wobei das gelbe auch Fettmark genannt wird. Das hier für uns wichtige rote Knochenmark findet sich bei Erwachsenen v.a. in den Epiphysen der langen Röhrenknochen wie dem Femur (Oberschenkel) und der Tibia (Schienbein).
Rotes Knochenmark
Im roten Knochenmark findet die Blutbildung statt. Hier befinden sich viele Stammzellen, die sich zu allen festen Bestandteilen des Blutes, also zu roten und weißen Blutkörperchen und zu Blutplättchen entwickeln können. Der Aufbau des Blutes und die Aufgaben der Bestandteile werden in einem anderen Beitrag aufgearbeitet.
Bei Kindern ist ausschließlich rotes Knochenmark vorhanden. Im Verlaufe der Kindheit kommt es dann zur Umwandlung in gelbes Knochenmark.
Gelbes Knochenmark
Diese Art von Knochenmark wird auch Fettmark genannt. Es besteht hauptsächlich aus Fettzellen, kann aber bei Bedarf in rotes Knochenmark umgewandelt werden.
Bei Kindern und Jugendlichen bis ca. 20 Jahre findet sich ausschließlich rotes Knochenmark, das dann in gelbes umgewandelt wird und in diesem Zustand keine großen Aufgaben mehr erfüllt. Eine Umwandlung zu rotem Knochenmark erfolgt dann, wenn mehr Blutbildung (Hämatopoese) erforderlich ist (z.B. bei Schwangerschaft, viel Blutverlust, etc.)
Daraus ergibt sich...
Ohne in diesem Beitrag genauer auf die Blutbildung und auf den genauen Aufbau von Knochen einzugehen (dafür andere Beiträge), ist es wichtig zu verstehen dass das Knochenmark an der Blutbildung beteiligt ist. Es ist also ein sehr gut durchbluteter Bereich im Körper und das machen wir uns – u.A. – mit dem i.o. Zugang zu Nutze.
Der größte Vorteil: im Gegensatz zu anderen Blutgefäßen kollabiert dieses selbst in schockähnlichen Situationen nicht und ist immer verfügbar.
Indikationen
Wann kommt der i.o. Zugang zum Einsatz?
- Herz-Kreislauf-Stillstand
- lebensbedrohliche Situationen mit zwingender Indikation für einen parenteralen Zugang und Unmöglichkeit eines peripheren i.v. Zugangs
Kontraindikationen
Wann sollte von einem i.o. Zugang abgesehen werden?
- Fraktur der entsprechenden Tibia (gebrochenes Schienbein)
- vorheriger Punktionsversuch am selben Knochen
- Infektion, Endoprothese oder Implantat an der Punktionsstelle
- massive Weichteilschäden an der Punktionsstelle
Gibt es Alternativen?
Der i.o. Zugang ist im Rettungsdienst für Notfallsanitäter die letzte und invasivste Möglichkeit einen parenteralen Zugang zu etablieren. Als parenteralen Zugang bezeichnet man in der Medizin jeden Zugang ins Gefäßsystem, der nicht über den Magen-Darm-Trakt erfolgt (die Einnahme einer Tablette z.B. wäre die Applikation über den Magen-Darm-Trakt). Funktioniert auch diese Methode nicht, dann liegt das Schicksal des Patienten in der Therapiefreiheit des Notarztes. Dieser kann versuchen z.B. am proximalen Humerus einen i.o. Zugang zu etablieren oder einen zentralen Venenkatheter (ZVK) zu applizieren.
Ein Zugang ins Knochenmark kann überall dort erfolgen, wo rotes Knochenmark ist (wie oben beschrieben meist in den Epiphysen langer Röhrenknochen), aber auch im Brustbein (Sternum, platter Knochen). Für Notfallsanitäter ist allerdings nur ein Punktionsort vorgesehen.
- Fehllage
- Hämatom o. Entzündung
- Gefäß- u. Nervenverletzungen
- Weichteilschäden
Welches Material wird benötigt?
Zum EZ-IO Set gehören:
- der EZ-IO Bohrer selbst
- EZ-IO Kanülen in 3 versch. Längen
- Verlängerung bzw. Aufsatz
- Fixierungspflaster
- Luer-Lock-Spritze (Luer-Lock ist ein Drehgewinde bei Spritzen und Schläuchen für eine festere Verbindung) zur Aspiration
- NaCl 0,9%
- Infusion
Richtige Nadel wählen!
Herstellerempfehlung: eher für den proximalen Humerus (oberer Teil des Oberarms)
Durchführung i.o. Zugang gem. SAA
Punktionsort: proximale Tibia medial der Tuberositas tibiae
- geeignete Nadel wählen
- Punktionsort ausreichend reinigen und desinfizieren, ggf. rasieren
- Verlängerungsschlauch und Dreiwegehahn mit kristalloider Lösung füllen
- Nadel aus Verpackung entnehmen
- Durchstechen der Haut senkrecht zur Knochenoberfläche bis Knochenkontakt spürbar
- Einbohren der Nadel bis Widerstandsverlust
- Nadel fixieren und Trokar entfernen
- Aspiration von Blut bzw. Knochenmark
- Anschließen einer Verlängerung
- keine Lidocaingabe durch NotSan
- Spülen mit ca. 10 ml kristalloider Lösung und Infusion anschließen
- Nadel sicher fixieren
Hat es funktioniert? Erfolgsprüfung.
Ob ihr richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht… So einfach ist es hier leider nicht. Nachdem die Kanüle im Patienten liegt, gilt es zu prüfen, ob der Zugang auch wirklich etabliert ist. Dazu gibt es in der SAA einige Kriterien.
- sicher platzierte und fest sitzende Nadel / keine Schwellung an der Punktionsstelle
- Aspiration von Blut bzw. Knochenmark, Blut in der Trokarspritze
- nach Bolusgabe leichtgängiges Injizieren der Lösung
- gewünschte pharmakologische Wirkung verabreichter Medikamente
Konnte der Zugang nicht etabliert werden, wird die Kanüle ggf. unter Drehung wieder entfernt. Je nach Stärke der Blutung kann ein Druckverband angelegt werden, um die Blutung zu stillen. Bei Bedarf kann nun die andere Tibia (Schienbein) gebohrt werden.
Zusammenfassung i.o. Zugang
Abschließend kann man sagen, dass der i.o. Zugang eine schnelle, einfache und sichere Alternative zum i.v. Zugang ist. Notfallsanitätern steht mit dem i.o. Zugang eine gute Rückfallebene zur Etablierung eines parenteralen Zugangs zur Verfügung.
Vielen Dank für's Lesen.
Über Fragen, Wünsche, Kritik freue ich mich immer. Nutze dazu gern die Kommentarfunktion.
(Bild von rettungsdienst.memes auf Instagram)
Eine Antwort
Sehr gut und anschaulich erklärt. Vielen Dank für die Mühe, die Du Dir gibst. Echt klasse!